Arcana No.22 (2016) Meinhard-Wilhelm Schulz kommentiert: Die Schauergeschichte des hierzulande unverdient unbekannten Mr. Edward Frederic Benson (1867-1940) aus England; wenn man dem Verlag trauen darf, lautet „Home, Sweet Home“ und bleibt dem Leser erhalten, da der unverschämte Übersetzer davon ausgeht, dass das Deutsche Volk sich inzwischen weitgehend auf Denglisch unterhält und es unmittelbar versteht … Der namenlose Ich-Erzähler hat das unverschämte Glück, mit einem Nervenarzt verschwägert zu sein (eine Generation früher wäre er noch „Irrenarzt“ gewesen), dem die eigenen Nerven dergestalt herunter gekommen sind, dass er sich zur Erholung in die Nähe eines küstennahen „Hintertupfingen“ zurückzieht, samt Schwester des Autors; Kinder anscheinend Fehlanzeige; die altersmorsche Hütte, welche er mietet, lungert naturgemäß fern des Kaffs einsam und verlassen vor sich hin. Weil Onkel Nervendoktor sich zu Tode langweilt, schickt er eine Mail an den Schwager, und der hockt zu Beginn der Story in einer kochend heißen Blechbüchse, vor der ein Dampfross schnaubt; es ist August, und die Klimaanlage im ICE ist mal wieder ausgefallen … Kurz vorm Kuhkaff ist das Ende der Welt erreicht; irgendeine vergessene Bahnlinie modert rostig und grasbewachsen vor sich hin. Also heißt es, unverdrossen mangels Mercedes per pedes zur besagten Bude hin geschossen, aber die Vögel sind ausgeflogen; was tun? Freund Schwager vergisst den britischen Knigge, geht einfach rein und kommt in die gute Stube, die ihn mit zweierlei Überraschungen empfängt: Nix steht drin, nur ein Flügel, der seine teils weißen, teils hässlich schwarzen Zähne bleckt, weil der letzte Pianist aus ganz bestimmten Gründen den Deckel nicht geschlossen hat; da der Verfasser Patriot ist, handelt es sich im einen „Steinway“, aber der Verlag hätte seinen deutschen Lesern zuliebe einen „Bechstein“ anbieten können, zumal die Berliner Firma einst auch in London (40 Wigmore Street) zuhause war … Zweitens ist es im Kabuff seltsam kühl, obwohl das Thermometer dem lebhaft widerspricht; es handelt sich also um eine psychologische Kälte, wie der Medikus, inzwischen samt Tussi eingeschneit, klugscheißerisch doziert, indem er subjektives und objektives Feeling unterscheidet … Ferner hat sich in der Gegend ein bislang nicht aufgeklärter Mord ereignet; was der Erzähler wie ein zweiter Holmes herauskriegt, kann sich der Leser schon vorher denken, spätestens seit sich die gefletschten Tasten um Mitternacht selbständig machen: Der Piano-Player (m./f./n.) war es, welcher, während er die Titelmelodie der Story klimperte und dazu summte, gemeuchelt wurde; fragt sich nur, wer von wem? |
Reinhard May hat sich ganz gewiss von Mr. Benson inspirieren lassen, als er den Song mit dem Refrain „Der Mörder ist immer der Gärtner, der schlägt erbarmungslos zu“ plärrte, um zuletzt aus voller Brust zu schmettern, es sei stets der Butler: Rez. will dies offen lassen, weist nur darauf hin, dass unser „hounted living room“ gespensterfrei gemacht wird, wie auch immer und bietet eine alternative Lösung an: Onkel Irrenarzt hat den Schwager angelogen; das Domizil war schon jahrelang sein Refugium, mindestens viermal pro Jahr, wenn er selbst am Rande des Wahnsinns stand; freilich war er dort stets nur Untermieter und musste das ewige Klavierspiel der uralten Wirtin ertragen; als auch ihr tausendster Versuch beim Lied „Home, Sweet Home“ in die Hose gegangen war, drehte er durch und der Dame den Kragen um, oder noch besser: Es handelte sich um eine junge Frau mit bestimmten Störungen, die schon des Öfteren beim Doktor auf der Couch gelegen war, wie auch immer … und jetzt droht ein Beziehungsdrama; seine Tussi ist ihm nämlich auf die Schliche gekommen; noch grübelt er, da hackt das doofe Mädchen, wie üblich um Mitternacht, im Zweifinger-Suchsystem auf dem Piano herum und singt dazu mit schneidend glasglockenreiner Stimme den Evergreen „Geben Sie der Frau am Klavier noch ein Bier, noch ein Bier, und sagen Sie der Frau am Klavier, es wär von mir, es wär von mir …“ Jetzt sind der Schwägerin des Erzählers sämtliche Sicherungen durchgebrannt und sie hat das unverschämte Mädchen glatt umgebracht; der Doktor war mit dieser Lösung einverstanden, war ihm seine geliebte Ehehälfte doch nur zuvorgekommen, und jetzt sind die beiden wieder vor Ort, typisch für Irre seinesgleichen und haben nichts Geringeres im Sinn, als dem geschwätzigen Butler, der sie belauscht hat, an den Kragen zu gehen … Nun denkst Du, mein herzallerliebster Leser, M.G. Scultetus, dem erklärten Pferdefreund, sind wieder einmal alle Gäule durchgegangen: Recht hast du damit, aber was kann der Mann denn für seine blühende Phantasie? Wie auch immer: Mr. Bensons Story ist voller Atmosphäre, hübsch geschrieben und gut übersetzt, ein lesenswertes Zeugnis aus old merry England, und das selbstspielende Klavier gab es in entsprechenden Kneipen ja wirklich, wenn auch gespensterfrei!
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